Mein schüchternes Kind

2.5.16

Diesen Text habe ich sage und schreibe vor anderthalb Jahren angefangen, zu schreiben. Also die Überschrift, die hatte ich schon. Den Text dazu halbfertig im Kopf, aber geschrieben habe ich dann doch noch nichts. Bis jetzt. Denn der Text von Mini and Me hat mich getriggert, es endlich doch zu tun.

Hilfe, mein Kind ist schüchtern! - Na und??

Hilfe, mein Kind ist schüchtern!

Wie dem ein oder anderen bekannt sein dürfte, habe ich zwei Kinder. Zwei Jungs um genau zu sein. Und diese beiden Zwerge sind sich in vielen Dingen sehr ähnlich (Schokoeier sind lecker, Brokkoli nicht. Autos sind super, Aufräumen nicht.) und in anderen unterschiedlich wie Tag und Nacht. 

Der Wutz klettert überall drauf, rutscht für sein Leben gerne, quatscht Leute im Supermarkt an, rennt auf dem Spielplatz direkt zu anderen Kindern und fragt mal locker nach "Wie hei't Du? Was mattu da?". Bjarne nicht. Bjarne ist gerne gerutscht, bis er mal unsanft mit dem Hintern auf den Boden und mit dem Hinterkopf auf die Rutsche geditscht ist. Bjarne klettert auch überall drauf, steht dann oben und merkt "Oh, das war jetzt aber doch ein bisschen hoch, vielleicht sollte mir die Mama helfen, damit ich nicht runter falle!". Bjarne geht nicht auf andere zu, er beobachtet und schätzt ab. Oder ich muss mitgehen. Wenn ich dabei bin, dann fragt er oft noch nicht mal seine Kindergärtnerin oder seine Kindergartenfreunde selbst, ich soll das machen. Manchmal nervt das, aber er braucht es scheinbar und das ist ok! 

Was er aber wunderbar kann?! Sich verteidigen. Oder seinen Bruder. Letztens beim Einkaufen kam eine ältere Dame mit ihrem Einkaufswagen angerollt und meinte "Ihr seid ja zwei süße Mäuse!". Da dreht der Große sich um und schreit (öhm ja *hust*) "Wir sind keine Mäuse!!!!!" 
Zugegeben, sie wollte nur nett sein, aber ihm passte das nicht. Er wollte keine Maus sein und sich nicht von einer Fremden als solche bezeichnen lassen. Hätte er etwas diplomatischer machen können, aber gut, er ist 3. Da geht diplomatisch manchmal auch mit ner Schippe Sand, die einem in die Haare geschmissen wird. 

Sag doch mal Hallo!

Was mich am meisten an der Schüchternheit meines Sohnes stört, ist, dass ich genauso war und noch bin! Deswegen nervt mich nicht SEIN Verhalten, sondern, wie mit meiner eigenen Schüchternheit umgegangen wurde. Nämlich gar nicht. Es wurde nicht ernst genommen sondern lieber noch lächerlich gemacht. Bewusst geworden, dass das so nicht ok war, ist es mir aber erst jetzt so richtig. Nämlich weil ich jetzt Mutter bin und eben ein schüchternes Kind habe, in dem ich mich in vielen Dingen einfach wiedererkenne.
Wie in oben verlinktem Text war es meiner Mutter nämlich eher peinlich, dass ich eben so war, wie ich war. Unterwegs, in irgendeinem Café, irgendein mir fremdes Kind springt durch die Gegend. Meine Mutter: "Geh doch mal hin, sag doch mal Hallo, dann könnt ihr zusammen spielen!" 
Im Urlaub, ich buddel so vor mich hin, zwei Handtücher weiter hockt auch ein Kind im Sand: "Guck mal, die sieht doch nett aus, geh doch mal hin!" 
Nein, never ever, mach ich nich, will ich auch gar nicht! Ich bin völlig zufrieden, wenn ich weiter hier sitzen kann. Ich. Will. Nicht!
"Komisch, Du bist sooooo introvertiert! Also ich, ich war da ja ganz anders!"

Ja super, das ist doch prima! Aber ich bin eben ich und nicht Du! Und ICH mag keine Fremden ansprechen! Mag ich auch heute nicht. Komme ich in eine Gruppe mir fremder Menschen, suche ich mir einen Kaffee/Sekt/Saft zum dran festhalten. 
Ich liebe Menschen, die viel reden, dann muss ich nämlich nix sagen bzw. das Gespräch entwickelt sich von selbst, ohne dass ich nachfragen muss, wie derjenige denn das Wetter oder die politische Lage findet. Smalltalk liegt mir mal so gar nicht! 

Und genau deswegen mache ich heute einige Dinge eben so, wie ich sie mache und nicht, wie sie mir vorgelebt wurden. 
  • ich nehme meine Kinder ernst
  • ich halte ihnen die Hand, wenn sie vor irgendwas Angst haben. Auch, wenn ich diese Angst nicht nachvollziehen kann
  • ich zwinge oder ermutige sie nicht, Dinge zu tun, vor denen sie sich fürchten oder auf die sie einfach mal keinen Bock haben (Aufräumen zählt aber nicht dazu ;) )
  • ich vergleiche sie nicht mit mir oder stelle Ansprüche an sie, die ich eigentlich an mich selbst habe
  • ich akzeptiere, dass sie eigenständige Menschen sind und weder Kopien voneinander, noch von uns Eltern

Hallo, Tschüss, Danke, Bitte!

Meiner Meinung nach sollte man diese vier Worte beherrschen... Aber: ich zwinge die Jungs nicht dazu, sie zu benutzen! Wenn sie besagte Scheibe Wurst im Supermarkt geschenkt bekommen, bedanke ich mich. Klar, mir ist auch schon ein "Sag mal danke!" rausgerutscht, aber nur, wenn die Situation entspannt war. Dass beide "Bitte" und "Danke" beherrschen, merken wir zu Hause. Sie sind da sehr höflich und bedanken sich fleißig, wenn man ihnen irgendwas reicht, ihnen etwas erlaubt oder was auch immer. 

Ich versuche eher, den beiden vorzuleben, dass man grüßt, sich verabschiedet usw. Schlechte Beispiele fürs Nicht-Grüßen hat der Große jeden Morgen im Kindergarten. Der Mann und ich rasten regelmäßig deswegen aus, er dann entsprechend beim Abholen am Nachmittag. 
Man kommt in die Garderobe, das Treppenhaus oder schon den Gruppenraum, andere Muttis oder Papas stehen da rum, man sagt "Hallo!" und als Reaktion kommt... NICHTS! Hallo? Und dann wird von meinen Kindern erwartet, dass sie der netten Tante beim Bäcker "Guten Morgen!" sagen oder was auch immer? Bestimmt nicht!


Sicherheit geben, Selbstbewusstsein stärken!

Ich habe keine Ahnung, ob das, was ich mache, so richtig ist. Oder ob es dem großen Kind hilft, später lockerer oder offener zu werden. Vielleicht muss er das auch gar nicht, ich selber komme so unlocker ja auch gut durchs Leben. Ich brauche ne Weile, dann taue ich auf. Wem das zu lange dauert, der hat eben Pech gehabt! Man muss nicht der Beliebteste, Lauteste, Unterhaltsamste auf der Party sein, um Spaß zu haben. Und das würde ich meinen Jungs eben gerne vermitteln. Und nicht, dass etwas falsch daran ist, schüchtern oder still zu sein. Gar nix ist falsch daran, jeder ist anders und jeder genau so richtig, wie er eben ist! 

Vorteil des Zwuggels: sein kleiner Bruder! Der zieht ihn oft unbewusst mit. Wie am Wochenende. Der Wutz denkt "Boah, geil, Hüpfburg, los geht's" 
Bjarne eher so "Was ist das? Boah, voll da, so viele Kinder, ich weiß nicht... soll ich auch?" Und geht dann aber hinter seinem Bruder hinterher und das ist toll! 
Oder Kinderschminken: "Möchtest Du Dich auch anmalen lassen?" 
"Nein..." 
"OK." 
20 Minuten später wollte er dann doch, aber eben von sich aus! Und das ist der entscheidende Punkt! Natürlich nur bei seiner Kindergärtnerin und auch nur, wenn ich mitkomme. Mache ich gerne. Und ich bin nicht genervt, weil ich dann nicht in der Zeit mit den anderen Erwachsenen quatschen kann oder was auch immer. Und ich denke, dass das gut ist, weil es das ist, was ich mir als Kind gewünscht hätte!! 


Zuletzt aktualisiert am 02.05.2016.

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11 tolle Kommentare!

  1. Ich glaube, Du machst das alles schon ganz richtig, so wie Du es machst!!! Drück die zwei Zwerge von mir - freu mich schon auf euch !!!��

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  2. 💙 meiner (und ich, und der Mann) sind genauso. Danke für den Text!

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  3. Du machst das intuitiv schon ganz richtig. Ich möchte Dir mal einen Tipp geben: Google mal nach "hochsensibles Kind" oder "Hochsensibilität". Ich lese aus Deinem Text ganz stark heraus, dass Dein Kind und auch Du selber hochsensibel sein könntet (sind 15 - 20% der Weltbevölkerung). Ich weiß auch erst seit ein paar Wochen (durch eine Familientherapeutin), dass mein 7jähriger Sohn und auch ich selbst es sind.
    Nun weiß ich besser, wie ich mit meinem Sohn umgehen muss (in einigen Situationen anders, als bei anderen Kindern) und ich verstehe auch jetzt viele Dinge, die in meiner Kindheit und in der Schule gelaufen sind.
    Wenn man sich mal mit dem Thema befasst, fallen einem viele Dinge "wie Schuppen von den Augen"... ;-)

    Viele Grüße
    Melanie

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    1. danke für den tip, ich hatte da selber schon mal dran gedacht, aber es passen zu wenige punkte. in die richtung gehts wohl schon, aber wir sind wohl wirklich einfach nur schüchtern ^^

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  4. Liebe Ori,
    Dankeschön für diesen Text über wunderbare wenn auch schüchterne Kinder <3
    Liebe Grüße, Karin

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  5. Hallo Ori,
    ich sehe das wie du. Auch wenn meine Kids eher offen sind. Manchmal zu offen und scheinbar vor nix angst haben.

    Ich würde sie auch niemals zwingen mit fremden zu reden oder spielen.

    Jedoch wenn man was geschenkt bekommt bestehe ich auf ein DANKE. Also die Wurst beim Metzger z.b.

    Liebe grüße
    GALA

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    1. na sag ich ja, wenn die situation entspannt ist, dann stupse ich schon mal in diese richtung. aber anderes beispiel: kind ist eben nicht beim metzger, sondern sonstwo, wo es weder mit einem geschenk rechnet, noch darum gebeten hat. kind bekommt also von jmd völlig fremden einen lolli geschenkt oder so, steht verschüchtert hinter deinem bein und dann soll es noch danke sagen? nee, sehe ich nicht so.

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  6. Hallo,
    ich finde den Text sehr gelungen. Die Sache mit dem "Hallo" sagen und dem "Danke und Bitte" aber nicht. Nur weil andere mich nicht zurück grüßen, heißt es ja nicht dass dieses Verhalten ok ist. Würdest du nicht mehr grüßen, lebst du ja das Verhalten der anderen deinen Kindern vor. Und genau das möchtest du doch nicht..daher gewisse Umgangsformen gehören zu "umgänglichen" Menschen . Das ist zumindest meine Meinung. Ich bestehe z.B. auf Danke,Bitte Hallo und Tschüss. Denn wie sollen es denn die Kleinen lernen, wenn nicht von uns!? Liebe Grüße Stef

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    1. ähm, deswegen grüße ich halt auch IMMER! auch wenn die anderen mich ignorieren. und kinder lernen eben vorrangig durchs vorleben, nicht durchs eingetrichtert bekommen :)
      z.b. ist ein erzwungenes "entschuldigung" auch nichts wert, das muss vom kind kommen und kann erst kommen, wenn es empathisch genug dafür ist, das kommt erst spät.

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  7. Hi liebe Ori, das hast du so wundervoll verbloggt - erwartungsgemäß finde ich mich bzw. uns in vielen Situationen wieder! :) Schlechte Beispiele fürs Nicht-Grüßen oder unfreundliches Verhalten im Allgemeinen finden wir im Alltag wahrlich zur Genüge. Hier entgegnen wir dem aber mit wesentlich mehr Toleranz, als wir das bei Kindern tun. Ich finde ja, es wär schon ein riesiger Fortschritt, sich da mal der Geduld anzunähern, die wir bei Erwachsenen aufbringen, die sie ja eigentlich gar nicht so nötig haben... ;) Danke, dass du mich erwähnt hast!

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  8. Der Artikel ist zwar schon älter, aber ich bin gerade auf ihn gestoßen, da mein großer Sohn (bald 2,5 Jahre) wohl auch eher ein schüchternes Kind wird. So wie ich und sein Papa es waren. Ich war unglaublich schüchtern! Ich habe jahrelang mit Erwachsenen (außer meinen Eltern) quasi gar nicht gesprochen (ich habe heute noch die verhasste Frage: "Biste beschämt?" in den Ohren). Und andere Kinder hätte ich auch nie und nimmer angesprochen. Das war oft sehr schwer für mich und hat mich sicherlich oft eingeschränkt. Heute geht es schon viel besser, manche Leute kämen gar nicht auf die Idee, dass ich schüchtern sein könnte. Aber tatsächlich gibt es immer noch nicht viel Schlimmeres für mich, als die Kaffeepausen bei irgendwelchen Arbeitsveranstaltungen, bei denen man mit fremden Menschen beim Smalltalk networken soll... Und nun erkenne ich in meinem Großen ganz viel von mir wieder und versuche, möglichst gut damit umzugehen. Ich finde es an sich gar nicht schlimm (ich mag auch gar keine Kinder, die kleine, vorlaute Entertainer sind und immer eine Bühne brauchen), würde es ihm aber so gerne ersparen, da ich weiß, wie ich selber unter meiner Schüchternheit gelitten habe. Ich setze ebenfalls Hoffnungen in meinen kleinen Sohn (9 Monate) der jetzt schon deutlich wuseliger ist, als es der Große je war. Da sie nur 20 Monate Altersunterschied haben, werden die beiden zumindest immer sich gegenseitig haben. Das beruhigt mich etwas.

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