"Du Weichei!" - wie man seine Kinder total verweichlicht...

21.6.14

Letzte Woche bin ich ein bisschen gestolpert. Nicht über einen Bordstein, sondern über einen Kommentar auf Facebook.
Gepostet wurde ein Video, in dem es um (frühe) Fremdbetreuung ging und was es für Folgen haben kann (mal ganz grob zusammengefasst). Eine Mutter äußerte sich dann ungefähr so, dass sie der Meinung ist, dass Tragen, Familienbett und Stillen wichtig seien, um trotz Fremdbetreuung noch ganz viel Nähe und Geborgenheit vermitteln zu können, worauf dann eine andere Mutter (?) meinte, dass das zu verweichlichten Kindern führen würde. Dreijährige Kinder, mit denen morgens über die Klamottenwahl diskutiert werden würde, werden dann mit 16 diejenigen, die den Eltern auf der Nase herumtanzen. Sie lebe in der Realität!
Ups. Ich mache meine Kinder also zu verweichlichten Tyrannen?

Getragene Kinder werden zu Weicheiern und Tyrannen? Ja sicher...



Tragen



Bjarne wurde getragen, bis ich wieder schwanger war, also nur 7 Monate. Danach ging's nur noch für kurze Strecken, weil mir sonst alles weh tat. Jannes wird von mir zu 99% getragen und ist jetzt 9 Monate und 16 Tage alt.

Für mich ist es einfach toll, mein Kind so nah bei mir zu haben! Er kann viel mehr sehen, als im Kinderwagen, sich einfach wegdrehen, wenn es ihm zu viel wird, sich ankuscheln und wegdösen, wenn er müde ist. Die Hemmschwelle anderer Leute ist bei getragenen Babies auch größer, heisst, keiner grabbelt einfach in den Kinderwagen und kneift das Baby in die Ärmchen.

Menschenkinder sind Traglinge, keine Lieglinge. Die Form der Wirbelsäule von frischgeschlüpften Babies passt viel besser zum Tragen, als zum Liegen im Kinderwagen.
Wenn Babies weinen, nimmt man sie hoch und beruhigt sie. Das geht super beim Tragen, man hat dann nämlich auch noch die Hände frei und kann vielleicht noch ein bisschen Haushalt machen (oder sich die Fingernägel schneiden ;-) ). 3 Stunden Tiergarten waren gar kein Problem, Jannes hat sich alles ganz genau angeguckt und gestaunt, im Kinderwagen undenkbar. Da hätte er nie so lange ausgehalten.

Eine interessante Zusammenfassung findet man z.B. hier, Tragen aus kinderärztlicher Sicht. Oder einfach mal "Tragen" und "Bindung" in eine Suchmaschine eingeben, sehr viele interessante Artikel.


Familienbett 


Bjarne und Jannes haben eigene Betten, Bjarne ist relativ früh in seines gezogen, ich glaube so mit 3 Monaten. Ich musste nach 8 Wochen wieder arbeiten gehen und habe alleine im Schlafzimmer geschlafen, der Mann mit Hut mit dem Großen im Kinderzimmer. Das ging prima und Bjarne hat sehr gut in seinem Bett geschlafen. Bis, ja bis, er großer Bruder wurde. Da war das Schlafverhalten so ziemlich im Eimer.
Ob es auch ohne den Wutz so gekommen wäre, weiss ich nicht, auf jeden Fall fielen die 2 Ereignisse zeitlich zusammen. Bjarne konnte plötzlich nicht mehr schlafen. Wo er früher um 7 ins Bett gefallen ist, kurz den Rücken streicheln, Tigger knuddeln, rumrollen und einschlafen, sass auf einmal ein weinendes Kind im Bett, dass sich auch nicht wieder beruhigen liess. Bis halb 10 oder sogar später sass er teilweise mit im Wohnzimmer, hat sich Bücher angeguckt und ist dann irgendwann auf dem Sofa eingeschlafen.
Dann kam eine kurze Phase, in der der Papa sich mit ihm ins Bett gelegt und ihn in den Schlaf begleitet hat. Teilweise ein gutes Stück weit, ich hab ihn dann immer schnarchen gehört und um kurz vor 8 geweckt ;-). Später hat er sich dann zum friedlich schlafenden Sohn gekuschelt und seitdem schlafen die beiden die zweite Nachthälfte zusammen im Bett. Einschlafen kann er nämlich inzwischen auch wieder gut in seinem Bett.

Jannes Bett haben wir erst vor Kurzem aufgebaut und eigentlich auch nur zum Test und als Rausfallschutz, das Bett steht nämlich direkt neben dem Elternbett. Die Wiege war zu klein geworden und mehr als 2 oder 3 Mal hat er eh nicht drin geschlafen, denn er schläft von Anfang an bei mir im Bett. Das ist zum einen pure Faulheit, denn so muss ich nachts nicht aufstehen, ihn aus seinem Bett holen, anlegen, Stillen, wieder in sein Bett legen, in mein Bett zurückkrabbeln, wieder aufstehen und zum Klo tigern, ins Bett, nicht einschlafen können, huch, der Wecker klingelt.
So muss ich mich nur rumdrehen, Shirt wegziehen, im Liegen Stillen, dabei weiterdösen und wenn er fertig ist einschlafen. Manchmal schlafe ich auch dabei ein und bin morgens halb nackig ;-)
Wenn ich arbeite, schläft Jannes meistens in seinem eigenen Bett und da wird erstmal ein bisschen gemeckert und dann erst geschlafen. Lege ich mich mit ihm zusammen hin wird gar nicht gemeckert.

Auch wenn der Mann lieber mal wieder mit mir zusammen im Bett schlafen würde, statt mit einem der Kinder, so wie es jetzt ist, bekommen wir alle den meisten Schlaf. Die Nächte sind hier meistens um 6 Uhr morgens zu Ende und das auch noch mit Unterbrechungen, da muss man nehmen was man kriegen kann!
Familienbett war also bei uns nie geplant, es hat sich ergeben, aber ich kann es jedem empfehlen! Es ist praktisch, kuschelig, das Baby wärmt schon mal das Bett an, man wird morgens geweckt, weil jemand auf einem rumturnt und nicht, weil jemand weint.

Und überhaupt, wie war das denn früher? Alle schliefen in einem Raum, meistens auch mehrere in einem Bett, nebendran die Kühe. Seit wann schlafen Kinder eigentlich im eigenen Bett und eigenen Zimmer?
Familienbett hat positive Effekte auf Neugebordene, z.B. hier nachzulesen. Ob es auch welche auf Teenager hat, weiss ich nicht,  laut diesem Artikel nicht und erst recht keine negativen! Also weder "Der schläft mit 18 noch bei euch" noch "Der wird bestimmt schwul!" (was auch immer daran schlimm sein sollte...) oder "Der wird ein Mamasöhnchen!".


Stillen 


Ob Stillen nur mit in die Aufzählung gerutscht ist, weil man die drei Themen ja quasi in einem Atemzug nennt, weiss ich nicht, ich weiss allerdings auch nicht, wieso gestillte Kinder später verweichlichte Terroristen werden sollten. Vielleicht ist hier eher Langzeitstillen gemeint und manchmal glaube ich, jeder, der länger als 6 Monate stillt, wird manchmal schon komisch beäugt.


Bjarne wurde nicht sehr lange gestillt, nur 10-12 Wochen, eben weil ich wieder arbeiten gegangen bin und ich damals zu doof zum Abpumpen war.
Jannes wird jetzt seit 9 Monaten gestillt, davon 3 Monate voll, seit Ende Dezember mit Zufüttern und seit Januar teils mit abgepumpter Milch. Nachts stillen wir, zum Einschlafen und zwischendurch, wenn ich zu Hause bin.
Und auch Bjarne trinkt ab und zu noch abgepumpte Milch. Zur Zeit eher weniger, weil er einfach nicht dabei ist, wenn ich abpumpe, aber als ich angefangen habe, einen Milchvorrat anzulegen, da hat er ganz oft einfach mal das frisch abgepumpte weggetrunken ^^. Direkt an die Quelle wollte er nicht mehr, das hab ich mal auf dem Wickeltisch getestet. Er hat's ja beim kleinen Bruder gesehen und als ich ihn gefragt habe, ob er denn auch mal will, ist er erst mit dem Kopf nach vorn und dann doch wieder zurück und hat "Nee!" gesagt :-). Die Frage wäre eh gewesen, ob er das noch gekonnt hätte nach so einer langen Pause, wahrscheinlich hätte er mich nur gebissen ;-) Aber gedurft hätte er!

Ich habe absolut kein Problem damit, so lange zu stillen, wie das Kind es möchte. Komisch fände ich allerdings, wenn ich irgendwo sitze, das Kind kommt angelaufen und schiebt meinen Pulli hoch. Das muss nicht sein, aber ich bin eh kein Draussen-Stiller, ich bin dann lieber irgendwo zu Hause und in Ruhe. Und auch davon wird keiner ein Muttersöhnchen oder ein Terrorzwerg, zumindest meiner Meinung nach.
Und wer langes Stillen komisch findet, der sollte dann doch auch bitte seine Kuhmilch weglassen, die ist nämlich eigentlich für Kälbchen und nicht für erwachsene (!) Menschen.


Weicheier


Wie wird man dann also zum Weichei? Oder zum zickenden Teenager?

Ich kann da vielleicht von mir erzählen, ich war bzw. bin meiner Meinung nach nämlich beides.

Ein unselbständiges Weichei wird man, wenn man alles abgenommen bekommt. Wenn einem alles vorgesetzt und als Tatsache verkauft wird. Wenn man den Schulranzen gerne in türkis gehabt hätte, man ihn aber in rosa bekommt, man sich die Tapete mit den blauen Wölkchen aussucht, man aber die mit denen in rosa bekommt, man in der zweiten Klasse eine Brille aufsetzen muss, aber nicht die rote nehmen darf, weil man die ja so sieht, sondern eine in (wer hätte das gedacht) rosa, die wäre ja schön unauffällig (weil ja Brille = hässlich, so kam's bei mir an und den ersten Tag in der Schule wollte ich das Ding durch den Klassenraum werfen und drauftreten).
Wenn man sich mit 7 Jahren noch kein Brot selber schmieren kann, man würde ja zu viel matschen, es dann aber doch endlich mal lernen muss, weil man ja demnächst auf Klassenfahrt fährt.
Wenn man immer Reiten lernen wollte, stattdessen aber zum Ballet und zum Tennis geschickt wird. Reiten wurde dann abgetan, weil zu teuer. Kein Wunder, Tennis und Tanzen mussten ja bezahlt werden.
Ich hatte immer das Gefühl, klein zu sein und klein gehalten zu werden und nichts zu können.

Wird man dann älter, wird einem das irgendwann alles klar und man will da raus. Man will nicht mehr klein sein und man will sich nicht mehr fügen. Man färbt sich die Haare bunt, lässt sich die Ohren mehrfach durchlöchern und die Zunge piercen, obwohl man nicht volljährig ist. Und rennt jeden Tag nach der Schule in den Reitstall, ha!

Ein Weicheirebell wird man also eher, wenn es NICHT um die Bedürfnisse des Kindes und deren Erfüllung geht. Meine Beispiele sind jetzt mehr oder weniger materiell, aber es geht mir bei ihnen einfach darum, dass meine Meinung und meine Wünsche einfach übergangen wurden, nicht nur bei materiellen Dingen.
Wenn meine Kinder das Bedürfnis nach Nähe haben, dann bekommen sie sie. Und das dann auch gerne im Familienbett oder beim Tragen. Wenn sie Hunger haben, bekommen sie Essen. Wenn Bjarne lieber das blaue als das rote T-Shirt anziehen möchte, dann bitte, hauptsache er hat überhaupt was an ;-) Ich lasse ihn schon jetzt mitentscheiden in kleinen Dingen. Was möchtest Du auf Dein Brot haben? Welchen Käse? Möchtest Du mit zum Einkaufen kommen?
Wenn er etwas nicht haben oder machen soll, dann erkläre ich ihm, warum das so ist. Ich übergehe ihn nicht. Ich rede mit ihm. Auch wenn er nur Worte und keine Sätze spricht, mit "Ja" und "Nein" kommt man doch schon sehr weit.
Er weiss z.B., dass er gegen 7 Uhr ins Bett gehen soll. Das ist nach dem Sandmann oder wenn der kleine Zeiger da unten links ist und der große ganz oben. Natürlich meckert er dann auch mal (der Rebell, is doch noch gar kein Teenager ^^), aber meistens nur kurz, ich erkläre ihm, dass wir morgen wieder früh aufstehen müssen etc. und bleibe bei ihm, bis er sich ins Kissen kuschelt.
Man merkt deutlich, dass er mit Erklären und Reden besser klar kommt, als wenn Papa mal ein "Jetzt is aber gut, ab ins Bett!" rausrutscht. Dann kann er nämlich auch laut werden und quieken und strampeln, weil er nicht will.



Vielleicht fallen wir in ein paar Jahren mit unserem Erziehungsansatz auf die Nase, aber ich denke eher nicht. Ich möchte selbständige und selbstbewusste Kinder, und wie bitte sollen sie das werden, wenn ich sie immer unterdrücke? Nein, ich meine nicht, dass Kinder mit eigenem Zimmer, Kinderwagen und Fläschchen unterdrückt sind, ich meine das andere Zitat aus dem Kommentar "Dreijährige Kinder, mit denen morgens über die Klamottenwahl diskutiert werden würde, werden dann mit 16 diejenigen, die den Eltern auf der Nase herumtanzen".
Es gibt mit Sicherheit Kinder, die Tragen doof finden und lieber im eigenen Bettchen schlafen und wo Stillen einfach nicht geklappt hat. Denen geht's trotzdem super, weil eben auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird und das ist doch das Entscheidende.
Ja, auch Eltern haben Bedürfnisse, aber die müssen eben, gerade in den ersten Lebensjahren, auch mal ein bisschen hinten anstehen. Ich habe seit über einem Jahr keine einzige Nacht durchgeschlafen, weil ich mit dicker Kugel auch andauernd wach geworden bin nachts, aber dafür hab ich jetzt den Wutz. Und vor ihm den Zwuggel, und das isses wert :-)

So, ganz schön lang geworden, ich guck jetzt noch ein paar Minuten Fussball und kuschel mich dann zum Wutz ins Bett :-)


Kinder verwöhnen durch zu viel Nähe? Blödsinn!


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3 tolle Kommentare!

  1. Also die Aussagen das bestimmte Methoden Kindern zu Weicheiern oder Terroristen machen finde ich sowieso blödsinnig. Jeder wie er möchte und es für richtig hält. Es kommt auch immer irgendwo aufs Kind an. Paul wird zum Beispiel gerne im Tuch getragen, Noah überhaupt nicht...
    Unser Bett hab ich auch gern für meinen Mann und mich. Den großen Teil der Nacht schlafen die beiden auch in den eigenen Betten aber gegen morgen wenn sie dann hunger bekommen dürfen sie nach der Flasche meistens mit zu uns ins Bett ;-) Kuscheln ist soooooo schön :-)
    Ich glaub bei richtig oder falsch bei der Erziehung scheiden sich einfach die Geister...

    Liebe Grüße
    Nicole

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  2. ♥ toll geschrieben, vielen Dank!
    Liebe Grüße,
    Manuela

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  3. DANKE... DANKE ... Danke
    Genau so und exakt genau so sehe ich das auch. Wie oft wurde ich doof angeschaut, weil ich meinen Sohn lange getragen habe. Dafür konnte ich aber immer ohne Kinderwagen unterwegs sein und wenn es bei ihm nicht mehr ging oder am Strand, kein Thema, Manduca auf den Rücken und Zwerg rein. Ich habe so sogar noch mit einem 3jährigen an einem Charity-Kanga-Traininung zu Gunsten der SOS Kinderdörfer teilgenommen. Mein Prinz war begeistert. Und mit meinem Bauchzwerg werde ich das wieder genau so machen!!!!

    Familienbett war bei uns nicht geplant, und ehrlich, ich wollte es nie. Aber irgendwie hat der Umstieg von Stubenwagen auf Kinderbett nicht wirklich gut geklappt, und dann mußte ich wieder arbeiten - dazu aber nachts 2-3-4 mal rüberrennen und trösten war keine Lösung. Jetzt schläft er halt bei uns. Er weiß aber, dass er ein eigenes Bett hat. Und das beste ist, er meinte von sich aus, wenn das Baby da ist, will er sie nachts bei sich im Zimmer haben und sie trösten. Damit ich nicht aufstehen muß! ist er nicht süß!!! OK, ich glaube da jetzt nicht so recht dran. Vermutlich wird es demnächst einfach voller bei uns im Bett *g* und dann ist es so. Muß ja keiner mit mir tauschen.

    Stillen ist sicherlich nur Punkt 3, weil alle Listen 3 Punkte haben. Stillen ist gut! das beste, das bequemste. Und ich hätte so gern lange gestillt, so habe ich immerhin krampfhaft 8 Wochen abgepumpt, bis nichts mehr kam - besser als nichts. Und jetzt versuch ich es einfach noch einmal! und zwar mehr oder weniger so lang wie meine Maus will. 6 Monate schon mal vorneweg und wenn es 1 Jahr wird - toll! OK, so mit 3 Jahren fänd ich das jetzt doch befremdlich,... aber ob nu der cut mit 12, 13 oder 14 Monaten erfolgt, ist doch egal. Ich denk, es ergibt sich dann eh, wenn ich wieder arbeiten gehen muß.

    Liebe Grüße
    Zottellotte Sonja

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